Die Seele aus dem Leib

Kraftorte von Martin Frischknecht

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(Bild: Marcel Bihr)

Sprechen Sie Französisch? Ich schon. Und mir ist sehr wohl bewusst, dass diese Sprache in der Schule zum Pflichtstoff gehört, wodurch das Fach bei der Jugend wenig beliebt ist. Tant pis («Jä, nu») – das kann ich nicht ändern.

Für mich ist die Sprache und die Kultur unserer westlichen Nachbarn zu einer Herzensangelegenheit geworden. Durch Radtouren, Ferienaufenthalte und Beziehungen. Dass «Wänterthour» davon weit entfernt ist, betrübt mich nicht. Im Gegenteil. Ich glaube, bei dieser Liebe handelt es sich um eine Fernbeziehung. So etwas lebt aus der Sehnsucht und von Bekenntnissen. Ab und zu trifft man sich, und dann ist es richtig schön. Ob man es jahraus, jahrein miteinander aushalten würde, steht auf einem anderen Blatt.

Doch es gibt ja mitten in Winterthur einen Fleck Frankofonie. Mit den Eckpfeilern «Bonne Maman» und «Pain et Frommage» an der Steinberggasse reicht’s zumindest für ein Frühstück.

Das allein macht die Steibi nicht zum Kraftort. Doch der Auftritt einer jungen Musikerin aus Saint-Nazaire am Samstag, 16.8. bei den Musikfestwochen, tut das. Zaho de Sagazan wuchs in der Hafenstadt am Atlantik auf als Tochter einer Lehrerin und eines Bildhauers. Die Mutter sang zu den Chansons von Jacques Brel, in Vaters Zimmer wummerten Pink Floyd und Kraftwerk aus den Boxen.

Das Mädchen sah sich die längste Zeit überflutet durch Sinneseindrücke und Emotionen. Hochsensibel, würde die Diagnose dazu lauten. Damit beschäftigte sie sich gerade nicht. Dafür mit den Tasten eines E-Pianos. Zaho komponierte und sang sich die Seele aus dem Leib. Seit sie das an der Seite von zwei Klangtüftlern an Soundmaschinen und Schlagwerk tut, ist sie nicht mehr zu bremsen und erobert die Bühnen der Welt.

Für alle sicht- und hörbar hat sie sich von ihren inneren Nöten befreit. Das wirkt ungemein ansteckend.

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