50 Jahre PFF – wie aus einer einfachen Idee ein modernes Festival wuchs
1975 hatten zwei Pfadis aus Winterthur eine Idee. Was wäre, wenn sie andere Pfadis aus der ganzen Schweiz zum gemeinsamen Singen und Musizieren einladen? Das Pfadi Folk Fest war geboren. Seither hat sich die Form zwar geändert, doch sein Charakter blieb erhalten.
Noch überblickt man von der Kyburg die leere Wiese des Büel-Areals in Sennhof. Nur die an ihrem Rand aufgetürmten Container und die verlegten Bodenplatten deuten darauf hin, dass sich dies schon bald ändern wird. In knapp zwei Wochen werden hier bis zu 4000 Pfadis aus der ganzen Schweiz tanzen, feiern und schlafen. Denn dann feiert das Pfadi Folk Fest sein 50-jähriges Jubiläum. Was heute ein veritables Open Air ist, hat seinen Ursprung in einer simplen Idee – zusammen singen und musizieren. Auch wenn dieser Grundgedanke inzwischen modernen Ansprüchen gewichen ist, der Charakter des PFF ist derselbe geblieben.
Der Grundstein für das Pfadi Folk Fest wurde in London gelegt – von Marlis Kraft und ihrer Singgruppe «Birchermüesli». Am Telefon erzählt die heute in Philadelphia lebende Winterthurerin, wie es dazu kam. Ihn ihrer Jugend hatte Suri, wie Kraft in der Pfadi hiess, zwei Leidenschaften – die Pfadi und die Musik. Eine Kombination der beiden sei naheliegend gewesen und so gründete sie zusammen mit anderen Mädchen aus der Pfadi die Singgruppe «Birchermüesli». Eines Tages 1974 sei ihr jüngstes Mitglied mit der Pfadizeitung in die Probe gekommen. Darin war ein Inserat für ein Pfadi–Musikfest in London, auf das sich interessierte Gruppen bewerben konnten. «Wir haben dann eine Kassette eingeschickt und wurden prompt ausgewählt», erinnert sich Kraft. Das sei «es riese Züg» gewesen, da die meisten aus der Gruppe noch nie geflogen seien. Und auch die Bühne, auf der Kraft und ihre Gruppe auftreten sollten, war beeindruckend. Denn der Anlass fand in der Royal Albert Hall statt – eine der prestigeträchtigsten Bühnen Londons. Eingeschüchtert seien sie davon aber nicht gewesen, sagt Kraft. Im Gegenteil – mit «Buurebübeli», dem letzten ihrer vier Lieder, habe «Birchermüesli» sogar die ganze Halle zum Tanzen gebracht. «Wir haben Bürzelbäum gemacht, als wir das zu Hause unseren Freund:innen berichteten.»
Wieder zurück in der Schweiz erzählte sie ihrem Freund Huldreich Schildknecht von ihrem Abenteuer. Die beiden seien sich schnell einig gewesen – so ein Pfadi–Musikfest, das braucht es auch in Winterthur. Und für dieses Vorhaben waren die beiden das richtige Duo. Kraft brachte die musikalische Begeisterung und Schildknecht, als Gesamtleiter der Pfadi Winterthur, das organisatorische Know–How.
«Kulturell war in Winterthur damals tote Hose»
Huldreich Schildknecht
In den 70er-Jahren sei es auch einfacher gewesen als heute, einen solchen Event auf die Beine zu stellen. «Damals reichte ein kurzes Telefonat aus und du konntest eine Chorgruppe vor das Altersheim stellen», sagt Mungg, wie Schildknecht in der Pfadi hiess. «Heute wäre das so nicht mehr möglich.» Dass Kraft und er das erste PFF auf die Beine stellten, sei auch dem Zeitgeist geschuldet gewesen. Winterthur sei noch eine «Arbeiterstadt» mit einer Sperrstunde gewesen. «Kulturell war da tote Hose.» Wenig überraschend sei der Anlass auf grosse Resonanz gestossen. «Wir wurden regelrecht überrannt», erinnert sich Schildknecht. Er habe noch immer Kontakt zu einigen Leuten von damals – «Die erzählen heute noch von 1000 Salaten, die sie in kürzester Zeit machen mussten.» Insgesamt seien es wohl gegen die 1500 Pfadis aus der ganzen Schweiz gewesen, die dann an diesem Wochenende in Winterthur zusammenkamen, um miteinander zu singen und musizieren. Ihre Bühnen waren mit dem Serenadenplatz der Musikschule, den Kantonsschulen und dem Kasernenareal zwar nicht so grandios wie die Royal Albert Hall – ein Erfolg sei das erste PFF aber allemal gewesen. Deshalb war auch schnell klar, dass es nochmals stattfinden sollte.
Ein Jahr später war dieser Vorsatz umgesetzt. Dass aus ihrer Idee eine fünfzigjährige Tradition entstehen würde, hatten die beiden nie erwartet. «Es ist ein erfreuliches, wenn auch erstaunliches Jubiläum», sagt Schildknecht. In den folgenden Jahren ging das PFF auf Wanderschaft und fand vor der szenischen Kulisse des Vierwaldstättersees in Luzern statt – auch dieses Mal mit einem komplett neuen OK. Das sollte sich in den nächsten Jahren etablieren, denn seither wird das PFF eigenständig von lokalen Pfadiverbänden organisiert. Ein zentrales Organ, das die Durchführung plant oder koordiniert, gibt es auch heute nicht.
«Wir vom Stadtrat eine Absage bekommen, da es auf dem Stadtgelände bereits zu viele lärmintensive Veranstaltungen gäbe»
Caspar Briner
Doch wie wird bei einem so dezentralisierten Ansatz entschieden, wo das nächste PFF steigt? «In der Regel bekommt die Gruppe den Zuschlag, die als erste die entsprechende Domain registriert», sagt Caspar Briner, Co–Präsident des diesjährigen OKs und schmunzelt. Die ganze Wahrheit sei das aber natürlich nicht. Im Schatten der Container auf dem Büelareal erzählt er, mit welchen Herausforderungen das OK zu kämpfen hatte. Vor fünf Jahren hat er es mitgegründet. Doch von den neun Personen, die an der ersten Sitzung teilnahmen, sind nur noch drei dabei – aus demselben Grund, weshalb das 50-jährige Jubiläum nicht an der Gründungsstätte stattfindet. «2023 haben wir vom Stadtrat eine Absage bekommen, da es auf dem Stadtgelände bereits zu viele lärmintensive Veranstaltungen gäbe», sagt Briner. «Das hat vielen den Mut genommen.» Drei Jahre nach dem Startschuss stand das PFF 25 ohne ein Team für die Infrastruktur und ohne Platz da. «Das war schwer.»
«Es war nicht einfach, wir waren nahe am Aufgeben»
Caspar Briner
Aber es kamen neue, motivierte Leute ins Team. «Eine von uns ist mit dem Velo durch die ganze Region Winterthur gefahren und hat nach möglichen Plätzen Ausschau gehalten», erzählt Briner. So haben das OK, schlussendlich auch den Platz auf dem Büelareal gefunden. «Wir sind da einfach mal klingeln gegangen». Danach habe sich Schritt für Schritt ein Team gebildet. «Aber es war nicht einfach, wir waren nahe am Aufgeben», sagt Briner.
Auch mit einem konkreten Durchführungsort stand das Open Air in der Schwebe. Denn die amtliche Bewilligung der Gemeinde stand noch aus. «Die bekamen wir erst vor sechs Wochen, das war einen Zitterpartie». Der nationale Pfadi–Verband «Pfadi Bewegung Schweiz» biete zwar eine kleine Defizitgarantie, gleichwohl stand mit Ausgaben von geschätzt einer Million Franken auch einiges auf dem Spiel. Das PFF ist grösstenteils selbstfinanziert, der Rest – knapp ein Viertel des Geldes – kommt über Sponsoring zusammen. Nun sei aber alles in trockenen Tüchern. «Man muss auch einfach daran glauben», sagt Briner. Der grösste Faktor für den Erfolg allerdings sei heute noch derselbe wie vor 50 Jahren – das Gesamte OK arbeitet ehrenamtlich. Er sei dankbar für all die Menschen, die zum PFF beitragen, ohne sie wäre es nicht möglich, sagt Briner. «Von vielen Dingen erfahre ich gar nichts, weil sie einfach laufen.»
Die unzähligen Stunden Gratisarbeit zahlen sich aber bereits vor Beginn des Open Air aus. Wie noch vor 50 Jahren ist der Ansturm gross. Von den 4000 verfügbaren Tickets sind bereits mehr als die Hälfte verkauft. Und das in die ganze Schweiz – unter den Bestellungen finden sich Postleitzahlen aus allen 26 Kantonen. Das dürfte auch am Line-up liegen, denn das kann sich sehen lassen. Neben nationalen Grössen wie Jule X und To Athena treten auch lokale Lieblinge wie Sebass auf. Und auch wenn das PFF heute ein herkömmliches Open Air ist, mit EKK und Projekt ET stehen auch heute noch «Pfadi Singgruppen» auf der Bühne. Den gemeinschaftlichen Charakter, der bei der Gründung im Zentrum stand, lebt das PFF 2025 vor allem durch das Rahmenprogramm. Denn dort können Besucher:innen mit einem Siebdruck-Atelier, einem Beatmaking-Workshop oder Importtheater die eigene Kreativität ausleben.
Ein spezielles Highlight steht am Samstag an: Der Jubiläumstreff mit den Gründer:innen des PFF – natürlich mit Suri und Mungg. Für Marlis Kraft war klar, dass sie kommen werde. Als junge Frau hätte sie nie erwartet, dass das PFF heute noch und dieser Grösse existieren würde. «Es ist schön, dass sich über all diese Jahre Menschen begegneten und gemeinsame Erinnerungen schafften, das jetzt nochmals als Besucherin zu erleben ist ein grosses Erlebnis.»
Seba studiert in Winti Journalismus, weiss wie man ein Bier zapft, verbringt seine Wochenenden gerne auf der Schützi und kennt in Winti allerhand spannende Figuren. Seba ist ein Urwinterthurer, aufgewachsen ist er in Veltheim. Nur eines fehlt ihm für den Winti-Ritterschlag: Geboren ist er im Triemli in Zürich.