Architekturschatz in den Quartieren

Ich spaziere gerne durch die Quartiere unserer Stadt. Da gibt’s architektonisch einiges zu entdecken. Unsere kompakte Altstadt und das architektonische Erbe der Industrie sind natürlich bedeutend, aber die Gartenstadt Winterthur ist eben auch bekannt für ihre Wohnsiedlungskultur, über 500 Siedlungen zeugen davon.

Holzbausiedlung an der Weststrasse, 1930er-Jahre.
Holzbausiedlung von Architekt Franz Scheibler an der Weststrasse, 1930er-Jahre (Bild: Sammlung Winterthur) (Bild: Sammlung Winterthur)

Das Departement Architektur, Gestaltung und Bau der ZHAW widmet sich zurzeit mit einer Ausstellung dem bedeutenden deutschen Architekten Heinrich Tessenow. Ein wichtiger Schweizer Schüler von Tessenow war der Architekt Franz Scheibler. Und der wirkte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Winterthur, seine Bauten sind bekannt für eine nüchterne und praktische Formensprache, die die Stadt noch heute prägt. Viele beliebte Wohnsiedlungen in Winterthur zeugen davon.

Das Erbe des Winterthurers Franz Scheibler konnte in letzter Zeit auf sogenannten «Quartierspaziergängen», die das Architekturforum in Zusammenarbeit mit der ZHAW durchführte, entdeckt werden. Einer dieser Spaziergänge führte von der Holzbausiedlung an der Weststrasse bis zur Siedlung Schachen in Veltheim. Vor allem Scheiblers Holzbausiedlung ist den meisten Winterthurer:innen bekannt.

«Wenn ich sage, dass ich in der Holzbausiedlung an der Weststrasse lebe, dann wissen die Allermeisten, wo das ist.»

Daniela Stark, Anwohnerin Holzbausiedlung

In der Nachbarschaft der Holzbausiedlung kenne man Franz Scheibler noch und es sei bei den Allermeisten ein Bewusstsein für die aussergewöhnliche Architektur da, erzählt die Anwohnerin Daniela Stark weiter.

Du fragst dich nun vielleicht, warum du dich für solch altes Gemäuer überhaupt interessieren solltest. Abgesehen davon, dass durchs Quartier spazieren mal den Kopf durchlüftet, erzählen uns die Gebäude viel über vergangene Zeiten unserer Stadt. Zu Scheiblers Zeiten herrschte Wohnungsnot, denn die vielen Arbeiterfamilien, die dem Ruf der Industrie gefolgt sind, mussten untergebracht werden. Baumaterial war teuer, also wurden grosse Siedlungen gebaut. Einfach, aber zweckmässig.

Um die Erhaltung solcher historischen Bauten kümmert sich die Denkmalpflege. Auch Scheiblers Werke sind da hoch im Kurs.

Verschiedene Eigentümerschaften, verschiedene Sanierungen: Die Weststrasse heute.
Verschiedene Eigentümerschaften, verschiedene Sanierungen: Die Weststrasse heute. (Bild: Gioia Jöhri) (Bild: Gioia Jöhri)

«Wir fragen uns immer, wo bauliche Eingriffe möglich sind, ohne den Wert der Architektur zu zerstören. Denn ohne Entwicklung ist kein Gebäude zukunftsfähig»

Konstanze Domhardt, Denkmalpflegerin beim Amt für Städtebau

Denkmalpflege bewege sich immer zwischen den heutigen Wohnbedürfnissen und dem Erhalten der identitätsstiftenden Qualitäten einer Siedlung, sagt Konstanze Domhardt, die sich bei der Stadt um die Denkmalpflege kümmert. Gerade die Holzbausiedlung bringe Herausforderungen mit sich. Einerseits haben alle Häuser verschiedene Eigentümerschaften, was wiederum viele verschiedene Ansprüche mit sich bringt. Andererseits ist die Holzbauweise selten und erfordert massgeschneiderte Lösungen, wenn etwas verändert werden will.

Einfacher gestaltet sich die Erhaltung, wenn eine Überbauung in einer Hand ist. Ein Beispiel dafür ist die Siedlung Schachen in Veltheim, die der Heimstätten-Genossenschaft gehört. Hier wurde sanft erneuert, gleichzeitig durfte ein Teil der Häuser durch einen Neubau ersetzt werden, der heutigen Bedürfnissen gerecht wird. Neben Scheiblers Wohnsiedlungen gibt es noch viele weitere schützenswerte Siedlungen, die du mit der Winterthurer-Karte des Objekt- und Siedlungsinventars entdecken kannst. Vielleicht wohnst du ja selbst in einer solchen Siedlung?

Sanft renoviert und auch heute noch wiedererkennbar: Die Siedlung Schachen um 1949/1950.
Sanft renoviert und heute noch als Ensemble erkennbar: Die Siedlung Schachen um 1949/1950. (Bild: Sammlung Winterthur) (Bild: Sammlung Winterthur)

Architekt Scheibler dürfte sich über die sorgfältige Erhaltung seiner Siedlungen gefreut haben, auch wenn er sich später Projekten in der Innenstadt widmete: Das heutige Parkhotel (früher Gartenhotel), wie auch die Alte Post am Obertor (heute Migros Obertor) stammen von ihm. Auch diese Gebäude zeichnen sich durch Einfachheit, Sparsamkeit und Würde aus – Werte in der Architektur, die Scheiblers Lehrer Heinrich Tessenow etablierte.

Die Ausstellung zu Tessenow an der ZHAW beleuchtet die Aktualität seiner Prinzipien und ihr Bezug zur Stadt Winterthur. Bis am 10. Mai hast du die Chance in der Roten Halle an der Tössfeldstrasse 13/15 vorbeizuschauen.

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Und wenn du jetzt auf den Geschmack gekommen bist und noch nicht genug architektonischen Input hast, dann wäre der neue «Architekturführer Winterthur» etwas für dich. Mit dem Buch im Gepäck spazierst du mit anderen Augen durch unsere Stadt. Wusstest du beispielsweise, dass in der Altstadt beim Untertor fast keine Original-Altstadthäuser mehr stehen? Und dass es bis in die 1990erJahre eher uncool war, in der Altstadt zu wohnen? Oder dass das Türmli ursprünglich ein Teil der Stadtmauer war und als Wehrturm diente?

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WNTI-Portrait-Gioia-Joehri

Gioia ist nicht nur in der Redaktion bei WNTI tätig, sondern arbeitet auch als Videoredaktorin bei SRF News. Winterthur kennt sie bestens, denn sie verbrachte hier ihre Gymnasialzeit. Ausserdem ist es gut möglich, dass sie mehr über dein Haus weiss als du selbst, denn schon bei der Historiker:innen Zeitschrift schrieb sie über die faszinierenden Geschichten, die in den Mauern und Fassaden der Städte verborgen sind. Ihre Leidenschaft für die früheren Lebenswelten der Winterthurer:innen ist ebenso ausgeprägt wie ihre Neugier auf die Lebensrealitäten anderer Menschen.

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